Titandioxid zu Unrecht eingestuft

Die Einstufung von Titandioxid als „vermutlich karzinogen beim Einatmen“ ist laut Urteil des EuG rechtswidrig.

Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat am 23. November 2022 sein Urteil zur Einstufung des Weißpigments Titandioxid gesprochen. Danach ist die Einstufung von Titandioxid als „vermutlich karzinogen beim Einatmen“ und die damit verbundene Kennzeichnungspflicht für den Stoff sowie pulverförmige, feste und flüssige Gemische rechtswidrig.

Die in Luxemburg klagenden Unternehmen aus der Titandioxid- und Farbenbranche und die sie unterstützenden Verbände begrüßen das Urteil des Gerichts EuG zur chemikalienrechtlichen Einstufung von Titandioxid ausdrücklich. Seit 2016 herrscht Streit über die Einstufung und die daraus resultierende Kennzeichnungspflicht. Juristisch ist das Urteil eindeutig: Das Gericht hat die Delegierte Verordnung der EU-Kommission aus dem Jahr 2019 für nichtig erklärt, soweit sie die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung von Titandioxid in bestimmten Pulverformen als karzinogener Stoff beim Einatmen betrifft.

Insbesondere durch die Ausführungen des EuG zu den intrinsischen Eigenschaften von Stoffen und den Anforderungen hinsichtlich des wissenschaftlichen Nachweises von Gefahren wonach sich die Einstufung eines Stoffes als karzinogen nur auf einen Stoff mit der intrinsischen Eigenschaft, Krebs zu erzeugen, beziehen darf – fühlen sich die Verbände VdL und VdMi in ihrer Auffassung bestätigt, dass die Einstufung von Titandioxid als „vermutlich karzinogen beim Einatmen“ und die damit verbundene Kennzeichnungspflicht für den Stoff sowie pulverförmige, feste und flüssige Gemische als rechtswidrig anzusehen waren.

Das Weißpigment Titandioxid kann also weiterhin sicher eingesetzt und verwendet werden.

Pfeil Eine Kurzversion des Urteils ist hier abrufbar.

Update vom 17.02.2023

In einer Pressemitteilung hat die französische Regierung am 13.Februar 2023 bekannt gegeben, dass sie gegen das Urteil des Gerichts der Europäischen Union Rechtsmittel eingelegt hat. Kurz darauf wurde bekannt, dass auch die EU Kommission als ursprüngliche Beklagte inzwischen Berufung gegen das Urteil eingelegt hat. Begründungen auf Deutsch liegen bislang noch nicht vor. Die Berufung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) kann nur in begründeten Fällen eingelegt werden, das juristische Verfahren dauert normalerweise ein bis zwei Jahre. In der Praxis bedeutet dies, dass die Einstufung bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens bestehen bleibt. (red)

EU verbietet Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff E171

Zukünftig soll Titandioxid nicht mehr als Lebensmittelzusatzstoff E171 verwendet werden dürfen. Die Europäische Kommission hat im Januar 2022 die Verordnung über Lebensmittelzusatzstoffe geändert und die Zulassung für E171 in Lebensmitteln aufgehoben. Dieses Verbot bezieht sich ausnahmslos auf den Einsatz als Lebensmittelzusatzstoff. Es ist unabhängig von der Einstufung von Titandioxid unter der CLP-Verordnung. 

An Lebensmittelzusatzstoffe werden spezielle gesundheitliche Anforderungen gestellt, weil sie absichtlich dem Lebensmittel zugesetzt und dementsprechend oral aufgenommen werden. Genotoxische Substanzen, deren negative Effekte beim Menschen belegt sind, kommen beispielsweise auch in einigen natürlichen Lebensmitteln vor, die aber in der Ernährung unvermeidbar sind. Für Titandioxid ist kein Zusammenhang mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung beim Menschen bekannt, dennoch muss es strengere Vorgaben erfüllen. 

Da kein unmittelbares Risiko durch E171 festgestellt wurde, gibt es eine Übergangsregelung für das Verbot: Lebensmittel, die E171 enthalten, dürfen bis August 2022 auf den Markt gebracht und dann bis zum Ende ihres Haltbarkeitsdatums verkauft werden.

Warum wird Titandioxid als E171 verboten?

Grundlage für diese Entscheidung ist Bewertung der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) vom Mai 2021, in der sie zu dem Schluss kam, dass der Lebensmittelzusatzstoff „nicht mehr als sicher angesehen“ werden kann. Damit weicht sie von den früheren Einschätzungen aus den Jahren 2016 und 2017 ab. 

Die EFSA stellt in ihrem Gutachten fest, dass insbesondere für enthaltene Titandioxid-Nanopartikel eine genotoxische Wirkung nicht ausgeschlossen werden könne, da hierzu Studien fehlen würden. Damit sagt sie jedoch nicht, dass Titandioxid genotoxisch sei. Das erläutert auch die EU-Kommission in ihren Fragen und Antworten zu Titandioxid.

Was sagt die EFSA-Bewertung im Detail?

Die EFSA hat für ihre Bewertung überwiegend neuere Studien genutzt, die zum Teil extra mit dem Zusatzstoff angefertigt wurden, um Datenlücken zu schließen. Diese ließen kein unmittelbares Gesundheitsrisiko erkennen.

Allerdings konnte der Verdacht, dass speziell die Nanopartikel im Zusatzstoff eine erbgutschädigende Wirkung (Genotoxizität) haben könnten, anhand der vorliegenden Studien nicht ausgeräumt werden. Die EFSA verlangt nach neueren Vorgaben hierfür Studien, bei denen extra präparierte Nanopartikel eingesetzt werden. Die oben genannten Studien haben den Zusatzstoff so, wie er auch im Lebensmittel eingesetzt wird, untersucht.

Da der Verdacht auf eine genotoxische Wirkung nicht ausgeräumt werden konnte, kann auch keine maximale Tagesdosis (ADI) abgeleitet werden – was für die EFSA eine Grundlage für die sichere Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen ist. 

Ist E171 ein Nanomaterial?

Titandioxid kann, je nach Anwendungsgebiet, mit unterschiedlichen Eigenschaften, Oberflächenbeschichtungen und Partikelgrößen hergestellt werden. Für den Einsatz im Lebensmittel wird ein besonders reines Titandioxid mit einer Partikelgröße zwischen 150 und 250 Nanometern verwendet. Es ist damit also nach der Definition der EU kein Nanomaterial. Technisch lässt es sich jedoch nicht vermeiden, dass immer ein Anteil von Nanopartikeln enthalten ist. 

Wirkt sich das Verbot auch auf andere Einsatzgebiete von Titandioxid aus?

E 171 soll weiterhin in der Liste der Lebensmittelzusatzstoffe bleiben, damit es im Bereich der Arzneimittel weiter eingesetzt werden kann. Eine Überprüfung dessen ist innerhalb der nächsten drei Jahre vorgesehen.

Auf andere Einsatzgebiete hat dieses Verbot im Lebensmittelbereich keinen Einfluss, zum Beispiel beim Einsatz von Titandioxid in Masterbatches, Druckfarben oder Dosenlacken für die Herstellung von Lebensmittelbedarfsgegenständen. Hier entscheidet über den Einsatz, ob ein Stoff ins Lebensmittel migrieren kann oder nicht. Zahlreiche Studien zeigen, dass bei Pigmenten und Füllstoffen, die in eine Kunststoff- oder Bindemittelmatrix eingebunden sind, generell keine Migration ins Lebensmittel stattfindet – auch nicht von Nanopartikeln. Dies hat auch der europäische Druckfarbenverband EuPIA in seiner Stellungnahme herausgestellt. 

Einstufung von Titandioxid – Aufklärung und Trans­parenz sind erforderlich

Harmlos oder krebserzeugend? Einfach nur Staub oder Gefahrstoff? An Titandioxid scheiden sich die Geister. Verbraucher möchten aber Transparenz. Prof. Dr. Ralf Stahlmann und Anna Sonnenburg bringen Licht ins Dickicht der Verordnungen und Begriffe.

Geht von Titandioxid eine Gefahr für Verbraucher aus?

Ralf Stahlmann: Nach unserer Einschätzung besteht für Verbraucher kein akutes gesundheitliches Risiko, wenn sie titandioxidhaltige Produkte verwenden.

Warum müssen dann Behälter mit Titandioxidpulver und Pulverprodukten, die mindestens ein Prozent Titandioxid in Partikelform enthalten, künftig den Warnhinweis „Kann bei Einatmen vermutlich Krebs erzeugen“ tragen?

Ralf Stahlmann: Dieses Piktogramm weist auf eine mögliche Gefährdung hin. Die Einstufung als vermutlich krebserzeugend bezieht sich auf das Einatmen von Titandioxidstaub. Die EU stützte sich bei ihrer Entscheidung auf Studien mit Ratten. Diese waren extremen Bedingungen ausgesetzt – also sehr hohen Titandioxidstaub-Konzentrationen, und das ein Leben lang.

Anna Sonnenburg: Man hat in Studien mit wiederholter inhalativer Exposition zeigen können, dass Ratten im Vergleich mit anderen Tierarten sensibler reagieren. Auch in epidemiologischen Studien mit Arbeitern, die tagtäglich mit Titandioxidstaub zu tun haben, konnte kein erhöhtes Krebsrisiko nachgewiesen werden.

Ist dann die Einstufung der EU nicht übertrieben?

Ralf Stahlmann: Sie ist korrekt im Sinne der CLP-Verordnung, die unter anderem regelt, wie Stoffe und Gemische auf dem Etikett zu kennzeichnen sind. Man muss diese Kennzeichnung richtig einordnen. Hier handelt es sich um eine Gefahrenbewertung mit vorbeugendem Charakter.

Anna Sonnenburg: Das Gesetz verlangt keine Abschätzungen zur Risikobewertung, wenn Menschen mit der Substanz in Kontakt kommen. Was aber nötig wäre, um das Gesundheitsrisiko tatsächlich einschätzen zu können.

Was ist der Unterschied zwischen Gefahr und Risiko?

Anna Sonnenburg: Das folgende Beispiel macht den Unterschied klar: In freier Wildbahn geht von einem Löwen zweifellos eine akute Gefahr aus. Dennoch können wir Löwen im Zoo besuchen, da das Risiko, von einem Löwen angegriffen zu werden, dort sehr gering ist. Und für die Tierpfleger, die öfter und näher mit den Tieren umgehen, gibt es Schutzvorrichtungen und Verhaltensregeln, um das Risiko zu minimieren. Das ist deren Arbeitsschutz.

Ralf Stahlmann: Genauso gibt es gefährliche Stoffe, die sicher gehandhabt werden können, etwa im Bereich der chemischen Industrie. Die Arbeit damit ist sicher, wenn die Stoffe beispielsweise in geschlossenen Systemen gehalten werden und keine Exposition der Arbeiter stattfindet. Ansonsten gibt es Arbeitsschutzvorschriften, die jederzeit eine sichere Handhabung gewährleisten.

Anna Sonnenburg: So gesehen geht auch von Titandioxid in verbrauchernahen Produkten kein Gesundheitsrisiko aus, weil das Pigment bei allen Anwendungen, ob im Kunststoff oder in Farben und Lacken, immer fest in eine Bindemittelmatrix eingebunden ist.

„Eine Aussage über die Gefährdung reicht allein nicht für eine robuste Bewertung des Gesundheitsrisikos eines chemischen Stoffes.“

Wie kann aus einer Gefahr ein Risiko entstehen?

Anna Sonnenburg: Nur dann, wenn jemand Titandioxidstäuben länger und in höheren Konzentrationen ausgesetzt wäre. Das gilt für alle biobeständigen Stäube.

Ralf Stahlmann: Eine Aussage über die Gefährdung reicht allein nicht für eine robuste Bewertung des Gesundheitsrisikos eines chemischen Stoffes. Wollte man die Gesundheitsrisiken bestimmen, die von diesen Stäuben oder anderen Verbindungen ausgehen, müsste man detailliert die Exposition bestimmen und eine Risikoabschätzung unter Berücksichtigung der quantitativen Verhältnisse durchführen.

Anna Sonnenburg: Genau dies hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, bei Titandioxid gemacht. Sie hatte dabei die orale Aufnahme im Blick und hat nicht die Aufnahme über die Lunge untersucht. Die EFSA hat zum einen Studien ausgewertet, bei denen unterschiedliche Mengen von Titandioxid an Tiere verfüttert wurden. Zum anderen hat die Behörde eine Expositionsabschätzung anhand von Daten zur Verwendung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff und analytischen Messungen vorgenommen. Ihre Schlussfolgerung: Die orale Einnahme von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff ist gesundheitlich unbedenklich.

Welcher Unterschied besteht darin, ob ich etwas einnehme oder einatme?

Anna Sonnenburg: Unlösliche Stoffe wie Titandioxid kann der Körper über den Darm ausscheiden. Die menschliche Lunge hat mehrere Schutzmechanismen: So können Fremdstoffe beispielsweise mithilfe der Flimmerhärchen aus der Lunge transportiert und abgehustet werden. Bei zu hoher und dauernder Belastung bricht diese Schutzfunktion jedoch zusammen; es kommt zu einer Überlastung. Deshalb müssen sich Menschen, die mit Stäuben zu tun haben, entsprechend schützen.  

Ralf Stahlmann: Das gilt übrigens auch für andere Arten von Staub, also zum Beispiel Sandstaub, Tonerstaub oder Dieselruß. Gesundheitlich bedenklich wird es immer dann, wenn die Lunge ständig Staub in hohen Konzentrationen ausgesetzt ist.

Die EU-Expertenkommission hat bei ihrer Bewertung darauf hingewiesen, dassdie kanzerogene Wirkung von Titandioxid im Tierversuch nur bei einer inhalativen Überlastungsexposition auftritt. Die dafür nötige hohe Luftkonzentration von Titandioxidpartikeln liegt deutlich über den maximalen Arbeitsplatzkonzentrationen. Auch bei der privaten Anwendung von Wandfarben oder Sonnenschutzmitteln, in denen die Titandioxidpartikel in der flüssigen Phase gebunden sind, erfolgt eine solche Exposition nicht.

Wann kommt man überhaupt mit Titandioxidstaub in Berührung?

Ralf Stahlmann: Denkbar wäre, wenn Farbe trocknet und abblättert oder auch, wenn titanweißhaltige Tapeten entfernt werden. Aber sicherlich nicht in Konzentrationen und unter Bedingungen wie in besagtem Tierversuch, die letztlich zur Einstufung führten. Beim Malern und Lackieren hingegen liegen, wie bereits erwähnt, keine Stäube vor.

Anna Sonnenburg: In Berührung mit Titandioxidpulver kommen auch Menschen in der Titandioxidherstellung. Daher gelten hier entsprechende Arbeitsschutzmaßnahmen. Der MAK-Wert muss unbedingt eingehalten werden. Darunter versteht man die maximale Arbeitsplatzkonzentration, der sich ein Angestellter aussetzen darf, ohne gesundheitliche Einschränkungen zu erleiden. Die dafür zuständige Kommission hat Titandioxid bei den granulären biobeständigen Stäuben von geringer Toxizität eingeordnet.

Wie lautet Ihr Resümee?

Ralf Stahlmann: Die EFSA hat Titandioxid nach sorgfältiger Prüfung bei oraler Exposition als gesundheitlich nicht bedenklich eingestuft. Die aktuell verordnete Kennzeichnungspflicht bezieht sich nur auf die inhalative Exposition. Sowohl die EFSA als auch der für die Einstufung zuständige EU-Ausschuss kamen zu dem Schluss, dass eine direkte genotoxische Wirkung von Titandioxid aus den vorliegenden Daten nicht ableitbar ist. Trotzdem besteht durchaus noch weiterer Forschungsbedarf, um die Situation besser beurteilen zu können.

Anna Sonnenburg: Auch konnte keine Studie ein erhöhtes Krebsrisiko für den Menschen am Arbeitsplatz nachweisen. Die Einstufung betrachtet eine mögliche Gefahr und berücksichtigt nicht, wie und ob man überhaupt mit dem Stoff in Kontakt kommt. Und das muss klarer kommuniziert werden. Dringend notwendig ist jetzt eine rational basierte Kommunikation der Situation. Hier kommt auch den Medien eine verantwortungsvolle Aufgabe zu.

Die Expert*innen

Prof. Dr. Ralf Stahlmann,
ehemaliger Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Charité Universitätsmedizin

Anna Sonnenburg,
Doktorandin am Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Charité Universitätsmedizin

Titandioxid­haltige Produkte richtig entsorgen

Die Einstufung titandioxidhaltiger Produkte als „kann vermutlich Krebs erzeugen bei Einatmen“ wirft abfallrechtlich Fragen auf. Wie gehe ich mit ausgedienten Produkten um? Sind die jetzt etwa gefährlich? Noch drastischer: Müssen Verbraucher deshalb mit höheren Müllgebühren rechnen? Abfallexperte Gregor Franßen hat den Durchblick.

Darf ich mein ausgedientes mit Titanweiß gestrichenes Regal weiterhin zum Sperrmüll geben?

Ja, das dürfen Sie. Diesbezüglich ändert sich durch die Einstufung für Verbraucher so gut wie nichts. Auch leere Joghurtbecher oder lackierte Bleche dürfen Sie wie bisher entsorgen.

„Beim Joghurtbecher sind die Farbmittel in die Feststoffmatrix fest eingebunden.“

Ist das angesichts der nun vorgeschriebenen Kennzeichnung nicht grob fahrlässig?

Die Kennzeichnungspflicht bezieht sich nur auf die Verpackungen von flüssigen und festen Gemischen. Und die Einstufung als „karzinogen bei Einatmen“ bezieht sich ja nur auf Stoffe, die Sie einatmen können, also auf titandioxidhaltige Pulver – und das auch nur, wenn der Anteil von titandioxidhaltigen Partikeln mit einem aerodynamischen Durchmesser von höchstens zehn Mikrometern mindestens ein Prozent ausmacht. Beim Joghurtbecher zum Beispiel sind die Farbmittel ja in die Feststoffmatrix fest eingebunden. Diese Erzeugnisse sind nicht gefährlich. Es gibt hier keine Stäube mit lungengängigen Staubpartikeln – und natürlich auch keine Sprühnebel oder Aerosole mit lungengängigen Tröpfchen. Folglich bleibt bei deren Entsorgung alles beim Alten.

Und was macht jemand, der nach der letzten Renovierung noch einen halben Eimer Titanweiß übrig hat und diesen entsorgen möchte?

Der leere Farbeimer gehört je nach Entsorgungssystem in aller Regel in die gelbe Tonne oder in den gelben Sack. Flüssige Farbe und Farbreste hingegen sind (entsprechend dem gekauften Produkt) als gefährlicher Abfall einzustufen und müssen über die gesonderte Schadstofferfassung entsorgt werden. Auch hier kommt es auf das jeweilige örtliche Entsorgungssystem an. In der Regel sind solche Abfälle beim nächsten Wertstoffhof oder an einem der Schadstoffmobile abzugeben. Wichtig: Die Einstufung als gefährlicher Abfall erfolgt nicht wegen des Titandioxids, sondern aufgrund der in den Farben enthaltenen Lösungsmittel oder sonstigen Zusatzstoffe. Für Otto Normalverbraucher ändert sich also nichts. Der entsorgt seinen Abfall wie bisher auch.

Aber ist Titandioxid von der EU nicht als gefährlich eingestuft worden?

Hier müssen wir unterscheiden: Die CLP-Verordnung, die EU-weit Vorgaben zur Kennzeichnungspflicht macht, sagt, dass von Titandioxidpuder zwar eine gewisse Gefährdung ausgeht. Das macht Titandioxid aber nicht gleich zu einem besonders besorgniserregenden Stoff, also zu einem SVHC (Substance of Very High Concern) gemäß EU-Recht. Ist ein solcher Stoff in einem Produkt in einer bestimmten Konzentration enthalten, dann ist das ausrangierte Produkt – und zwar unabhängig davon, in welcher Form der Stoff vorliegt – gefährlicher Abfall, der gesondert zu entsorgen ist.

„Titandioxidhaltige Abfälle sind – genauso wie die Produkte – nicht automatisch gefährlich. Das hängt von der Art des Abfalls ab.“

Ein gutes Beispiel ist HBCD (Hexabromcyclododecan), das als Flammschutzmittel in Wärmedämmstoffen oder auch Polstermöbeln eingesetzt wurde. Da HBCD als SVHC eingestuft und zulassungspflichtig, also grundsätzlich verboten wurde, waren alle HBCD-haltigen Gegenstände ab Erreichen der festgelegten Konzentrationsgrenze fortan gefährlicher Abfall. Bei Titandioxid ist das anders. Titandioxidhaltige Abfälle sind – genauso wie die Produkte – nicht automatisch gefährlich. Das hängt von der Art des Abfalls ab. Keinesfalls steht zu befürchten, dass alle Abfälle als gefährlich einzustufen sind, nur weil sie in irgendeiner Art und Weise ein Prozent Titandioxid oder mehr enthalten. Es kommt sehr auf den Einzelfall an.

Würden Sie das bitte näher erläutern.

Maßgebend ist hier die Abfallverzeichnis-Verordnung. Sie ordnet jedem Abfall eine sechsstellige Schlüsselnummer zu und legt fest, bei Vorliegen welcher Eigenschaften der Abfall gefährlich ist. Die gefährlichen Eigenschaften eines Stoffes können in der Regel der CLP-Verordnung entnommen werden. Und dort steht für Titandioxid, dass (nur) Gemische in Pulverform mit einem Gehalt von mindestens einem Prozent Titandioxid in Partikelform oder eingebunden in Partikel mit einem aerodynamischen Durchmesser von höchstens zehn Mikrometern als „karzinogen bei Einatmen“ einzustufen sind.

Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen: Ein Joghurtbecher ist ganz normaler Verpackungsabfall, der in die gelbe Tonne oder in den gelben Sack gehört, auch wenn der weiße Kunststoff, aus dem der Joghurtbecher besteht, Titandioxid enthalten sollte. Der Becher ist entweder der Abfallart 15 01 02 „Verpackungen aus Kunststoff“ oder 15 01 06 „gemischte Verpackungen“ zuzuordnen. Beide Abfallarten sind nicht gefährlich. Hier kommt es also auf den Titandioxidgehalt im Abfall oder Abfallgemisch nicht an. Die gefährliche Abfallart 15 01 10* „Verpackungen, die Rückstände gefährlicher Stoffe enthalten oder durch gefährliche Stoffe verunreinigt sind“ kommt nicht in Betracht, weil das Titandioxid im Joghurtbecher weder ein Rückstand noch eine Verunreinigung ist; es wurde dem Joghurtbecher ja gezielt als Bestandteil des Verpackungsmaterials beigefügt.

„Auch diese Abfallart ist nicht gefährlich – es kommt also auch hier nicht auf den Titandioxidgehalt an.“

Entsprechendes gilt auch für einen Fensterrahmen aus titandioxidhaltigem Kunststoff, der bei einer Renovierungs- oder Sanierungsmaßnahme ausgebaut wird: Auch dieser Fensterrahmen ist als ganz gewöhnlicher Fensterrahmen zu entsorgen. Denn der Kunststoff-Fensterrahmen ist der Abfallart 17 02 03 „Bau- und Abbruchabfälle – Kunststoff“ zuzuordnen. Und auch diese Abfallart ist nicht gefährlich – es kommt also auch hier nicht auf den Titandioxidgehalt an. Die gefährliche Abfallart 17 02 04* „Glas, Kunststoff und Holz, die gefährliche Stoffe enthalten oder durch gefährliche Stoffe verunreinigt sind“ kommt nicht in Betracht: Zum einen ist das Titandioxid wie schon im Joghurtbecher auch im Kunststoff-Fensterrahmen keine Verunreinigung. Zum anderen ist das im Kunststoff-Fensterrahmen enthaltene Titandioxid nicht gefährlich, weil es nicht in Pulverform vorliegt, sondern fest in die Kunststoffmatrix eingebunden ist.

Wann wäre der Kunststoff-Fensterrahmen denn gefährlicher Abfall?

Wenn bei einer Renovierungs- oder Sanierungsmaßnahme ein Fensterrahmen abgeschliffen wird, der einen titandioxidhaltigen Anstrich hat oder aus titandioxidhaltigem Kunststoff besteht. Hier können zum einen Stäube anfallen, die eingeatmet werden können und lungengängige titandioxidhaltige Partikel enthalten. Zum anderen sind solche Stäube oder auch andere (Bau-)Abfälle, in denen solche Stäube enthalten sind, als sogenannte „sonstige Bau- und Abbruchabfälle“ entweder der als gefährlich eingestuften Abfallart 17 09 03* oder der als nicht gefährlich eingestuften Abfallart 17 09 04 zuzuordnen. Hierbei handelt es sich um einen sogenannten Spiegeleintrag, bei dem es auf den Einzelfall ankommt.

(Bau-)Abfälle mit titandioxidhaltigen Stäuben sind als gefährlicher Abfall zu entsorgen – aber nur sofern anzunehmen ist, dass der Abfall Stäube mit Titandioxid- oder titandioxidhaltigen Partikeln mit einem aerodynamischen Durchmesser von weniger als zehn Mikrometern in einer Konzentration von mehr als einem Prozent enthält. Nur dann handelt es sich umgangssprachlich um „Sondermüll“, der von einem Privathaushalt auf einem Wertstoffhof oder über ein Schadstoffmobil oder von Gewerbetreibenden als gefährlicher Abfall entsorgt werden muss.    

Und das könnte dann teuer werden.

Diese Entsorgung ist für den Privathaushalt gebührenpflichtig, weil für solche Abfälle eigene Bestimmungen gelten. Gewerbliche Abfallentsorgungsunternehmen müssen besondere Auflagen erfüllen, wenn sie als gefährlich eingestufte Abfälle im Sinne der Kreislaufwirtschaft aufarbeiten wollen. Sie müssen dann erwägen, ob ein Recycling wirtschaftlich sinnvoll ist.

Erwarten uns also demnächst höhere Müllgebühren?

Auf keinen Fall. Jedenfalls nicht aufgrund der Titandioxideinstufung. Wie bereits gesagt ändert sich für den Verbraucher ja auch nichts. Lediglich für spezielle gewerbliche Bereiche. Etwa bei Handwerksbetrieben, die viel mit Schleifarbeiten zu tun haben und bei denen titandioxidhaltige Stäube anfallen, oder bei Farbmittel- und Titandioxidherstellern. Die müssten titandioxidstaubhaltige Abfälle gesondert entsorgen. 

Wo können sich betroffene Betriebe informieren, wenn sie bezüglich der Abfalleinstufung unsicher sind?

Entweder beim örtlich zuständigen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger oder beim privaten Abfallentsorgungs­­­­­unternehmen, über das auch bisher die Abfälle entsorgt werden.


Weiterführende Informationen stellt Gregor Franßen auch in diesem Informationsblatt zur Bewirtschaftung titandioxidhaltiger Abfälle zur Verfügung.

Gregor Franßen

Rechtsanwalt und Experte für Abfall- und Umweltrecht.

Pressekit

Alle wichtigen Infos zu Titandioxid haben wir in unserem Pressekit für Sie zusammengestellt.

  • Artikel Wissenschaft: Die Fakten zu titandioxidhaltigen Produkten
  • Artikel Historie: Wie es zur Einstufung von Titandioxid kam
  • Interview: Experteninterview mit Toxikologe Prof. Harald Krug
  • Infografik: Der sichere Umgang mit Farben
  • Bilder: Logos der Verbände und Fotos der Geschäftsführung
  • Pressemitteilung (VdL): Unternehmen klagen gegen EU-Einstufung
  • Pressemitteilung (VdL): Stellungnahme zum Urteil des EuG vom 23.11.2022
  • Pressemitteilung (VdMi): Stellungnahme zum Urteil des EuG vom 28.11.2022

Nanopartikel – technisches Wunder­material oder Grund zur Sorge?

Nanomaterialien und Nanopartikel haben in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erhalten. Während diese neuen Materialien zunächst als technisches Wunder angepriesen wurden, gibt es mittlerweile auch kritische Stimmen, die die Sicherheit der Materialien anzweifeln.

Wie klein ist „Nano-“?

Der Begriff Nanomaterialien fasst verschiedene Stoffe zusammen, deren äußere Maße im Bereich zwischen 1 nm und 100 nm liegen. Zum Vergleich: Der Durchmesser eines Nanopartikels verhält sich zum Durchmesser eines Apfels wie ein Apfel zur Erdkugel . Ein Nanopartikel ist damit rund 1000 Mal kleiner als ein rotes Blutkörperchen.

Durch diese extrem kleinen Durchmesser unterscheiden sich die Eigenschaften von Nanomaterialien oft von denen des Stoffs in „normalen“ Größenordnungen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Nanomaterialien automatisch gefährlich sind.

Wo kommen Nanopartikel zum Einsatz?

Titandioxid-Nanopartikel werden vor allem als UV-Blocker oder in photokatalytischen Anwendungen verwendet. Sie leisten in Sonnencremes einen wichtigen Beitrag zu unserem Schutz vor Sonnenbrand. Studien habe dabei nachgewiesen, dass die Partikel gesunde oder auch sonnenverbrannte Haut nicht durchdringen und auf der Haut verbleiben.

In photokatalytischen Farben oder Beschichtungen zersetzt das Titandioxid unter Sonneneinstrahlung Schadstoffe und reinigt dadurch Fassaden oder verbessert die Luftqualität. Die Nanopartikel sind dafür fest in das Material eingebunden und werden nicht freigesetzt. In allen anderen Farben, Lacken oder Kunststoffprodukten wie auch in Form des Lebensmittelfarbstoffs E171 wird Titandioxid nicht als Nanomaterial, sondern in Pigmentform eingesetzt.

Es werden weiterhin Studien zur Wirkung von Nanomaterialien auf den Menschen und die Umwelt durchgeführt, um potenzielle Gefahren identifizieren zu können. Auch Titandioxid-Nanopartikel werden weiter untersucht. Bisher wurden jedoch keine nanospezifischen Gefahren identifiziert.