Drei Jahre hat die Diskussion um das Weißpigment Titandioxid die europäischen Chemikaliengesetzgebung beschäftigt. Die Einstufung eines Stoffes als möglicherweise krebserregend ‒ was technisch klingt und normalerweise außerhalb der betroffenen Branchen kaum Aufregung auslöst ‒ schaffte es diesmal auf die Titelseiten der Zeitungen.
Bis dahin galt Titandioxid eigentlich als ein unproblematisches, bewährtes Weißpigment – gut untersucht und mit vielfachen Eigenschaften, ein chemischer Allrounder, der wegen seines hervorragenden Deckungsvermögens in Kunststoffen, Textilien, Lebens- und Futtermitteln als Zusatzstoff, bei der Papierherstellung sowie in pharmazeutischen und kosmetischen Produkten zum Einsatz kommt. Vor allem wird Titandioxid aber wegen seiner Farbbrillanz von jeher als Rohstoff bei der Herstellung fast aller Farben und Lacke eingesetzt.
Frankreich regte Einstufung von Titandioxid an
In dieser Branche war daher die Verwunderung auch besonders groß, als die französische Behörde für Lebensmittelsicherheit, Umwelt- und Arbeitsschutz (ANSES) 2016 bei der Europäischen Chemikalienagentur eine Einstufung von Titandioxid als krebserzeugend beim Einatmen vorschlug. Schnell kam es zum Streit: Betroffene Industrieverbände, aber auch andere EU-Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, lehnten eine Einstufung ab.
Die Befürworter sorgten sich unter anderem um die Gesundheit von Arbeitern, weil diese Titandioxid bei der Herstellung als Staub einatmen. Zwei ältere Studien, bei denen Ratten extremen Staubmengen ausgesetzt waren und anschließend vereinzelt Tumore entwickelten hatten, wurden hierfür als Beweis angeführt.
Titandioxid – gefährlich oder nicht?
Kritiker unterstellten der französischen Regierung politische Gründe. Die von zahlreichen Unternehmen, Verbänden und Institutionen getragenen Proteste führten an, dass die Studien mit Ratten nicht relevant für den Umgang mit Titandioxid seien. Auch gebe es nach Aussagen anerkannter Experten weltweit nicht einen einzigen Fall einer nachgewiesenen Gesundheitsgefährdung aufgrund des Einatmens von Titandioxid.
In der Chemikaliengesetzgebung gilt das sogenannte Vorsorgeprinzip, das vereinfacht gesprochen festlegt, dass wann immer eine Gefährdung für Mensch und Umwelt nicht ausgeschlossen werden kann, eine Auszeichnung erfolgen muss.
Und so kam es nach mehr als drei Jahren heftiger Diskussion und Proteste dann auch: Im Februar 2020 wurde Titandioxid in Pulverform als Stoff „mit Verdacht auf krebserzeugende Wirkung beim Menschen durch Einatmen“ eingestuft.
Wie geht es mit dem Weißpigment nun weiter?
Wohlgemerkt: Der Stoff Titandioxid in Pulverform wurde eingestuft, nicht flüssige Farben und Lacke als solche. Denn unstrittig war immer, dass sich Titandioxid in der Farbe fest verbindet und folglich gar nicht mehr eingeatmet werden kann.
Flüssige und feste titandioxidhaltige Gemische, wie die meisten Farben, Lacke und Druckfarben, sind daher von der Einstufung ausgenommen. Da das Chemikalienrecht solche Unterscheidungen nicht kennt, ist für diese Anwendungen trotzdem ein Warnhinweis auf dem Etikett vorgesehen, der vor dem Einatmen lungengängiger Tröpfchen beziehungsweise lungengängigen Staubes warnt. Eigentlich also eine unnötige und verwirrende Kennzeichnung. Pulverförmige Mischungen, wie etwa Pulverlacke, sind von der Einstufung ganz erfasst.
Die Einstufung wird auch Folgen für andere Verwendungen und Produkte mit Titandioxid haben. Insbesondere beim Abfall werden Lösungen gesucht werden müssen. Von solchen Einzelfragen werden schließlich Akzeptanz und Umsetzung der Einstufung abhängen.